Die Zukunft des Edge Sortings

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Es gab mittlerweile drei Gerichtsentscheide (und zwei Einsprüche) in drei verschiedenen Rechtsordnungen bzgl. der Frage, ob Edge Sorting beim Baccarat als Vorteilsspiel gelte. In allen Fällen fiel das Urteil zugunsten des Casinos aus, ohne jedoch auf kriminelles Falschspiel zu entscheiden. Genauso wie der Experte von Phil Ivey im Fall Crockford, war auch ich ganz offensichtlich ein Vertreter der Position „Edge Sorting ist ein Vorteilsspiel“. Nach diesen Gerichtsentscheiden sollten wir jedoch den Sinn der Urteile überdenken und von dort aus weiterarbeiten.
 

Zur Erinnerung, es gibt zwei Varianten des Baccarat. In der einen kann der Spieler die Karten berühren. In diesem Fall verwendet man „Einweg-Karten“, d.h. die Karten werden nach jedem Kartenschuh weggeworfen und ein neues Kartenspiel für den neuen Kartenschuh geöffnet. Selbstverständlich ist Edge Sorting bei dieser Spielweise unmöglich. Diese Variante wird häufig je nach Tischgröße als „Midi-Baccarat“ oder „Big Baccarat“ bezeichnet.


Bei der anderen Variante an einem Tisch so groß wie beim Blackjack werden die Karten nur vom Kartengeber manipuliert, und sie werden nach jedem Kartenschuh gemischt und wiederverwendet. Diese Variante wird häufig als „Mini-Baccarat“ bezeichnet. Außer der Tischgröße und der Wiederverwendung der Karten gibt es keinen Unterschied zwischen den beiden Varianten. Beim Mini-Baccarat ist Edge Sorting möglich. Da die Spieler die Karten jedoch nicht berühren, benötigen sie die Beihilfe des Hauses, um ihr Ziel zu erreichen. 
 

Die spezielle Methode von Phil Ivey und Cheung Yin Sun (Ivey's Partner), um Mini-Baccarat zu schlagen, erforderte in allen Fällen die unwissentliche Beihilfe der Casinoleitung und des Croupiers. Zunächst mussten Ivey und Sun die Karten sortiert bekommen. Aber sie mussten auch sichergehen, dass es beim Mischen keine Drehung gab, dass die Karten wiederverwendet wurden, dass der Kartenschuh keine Blende hatte, und dass unsymmetrische Karten verwendet wurden. Dieses Bündel an Bedingungen verlangte Ivey und Sun ein erhebliches Social Engineering ab. Das sie ihr Ziel auch nur ein einziges Mal, ja sogar mehrmals erreicht haben, erstaunt mich immer noch.

Hier ein Kurzüberblick:

FOXWOODS CASINO

2012 verklagte Cheung Yin Sun die Mashantucket Pequot Gaming Enterprise auf die Auszahlung der Gewinne von 1,15 Mio. $, die das Foxwoods Casino im Dezember 2011 konfisziert hatte. Der Gerichtsvorsitzende George Henningsen entschied im August 2012 gegen Sun, mit der Begründung:

 

„Die Autorität der Kommission, das Verhalten der Kläger einzuschätzen, ist ganz klar nicht bloß auf die Analyse beschränkt, ob ihr Verhalten kriminell sei, sondern ganz einfach, ob sie ein ' ... unangemessenes und ungesetzliches Verhalten ...' im Verlaufe ihrer 'Spielaktivitäten' zeigten. Wie zuvor erwähnt, ist der Tatbestand eines 'unangemessenen und ungesetzlichen Verhaltens' in Hinblick auf die vorliegenden Tatsachen unvermeidlich.“

 

Der Einspruch von Sun (2015) wurde vom U.S. Amtsrichter Janet Hall zurückgewiesen, der gegenüber Sun entschied,

 

„... kann Foxwoods nicht verklagen, weil der Casinobesitzer Mashantucket Pequots als amerikanisches Indianervolk Staatenimmunität genießt.“

CROCKFORD CASINO

Im Oktober 2014 verloren Sun und Ivey ihre nunmehr berüchtigte Klage gegen das Crockford Casino. 2012 gewann das Paar mit Edge Sorting etwa 12 Mio. $ innerhalb von zwei Spieltagen. In diesem Fall entschied Herr Justice Mitting gegen Ivey und Sun:

 
„... verwandelten ein Spiel, bei dem auf beiden Seiten im Prinzip kein Wissen darüber vorliegt, ob der Spieler oder die Bank gewinnen wird - in ein Spiel, bei dem das Wissen des Spielers das des Croupiers übertrifft ... Dies ist meiner Meinung nach Betrug im Sinne des Zivilrechtes.“
 

Ivey und Sun erhebten dagegen Einspruch. Der Einspruch wurde vom Gericht mit einer 2-zu-1 Entscheidung im November 2012 zurückgewiesen. Einer der Richter, Lady Justice Arden, äußert sich dazu:

 

„In meinem Urteil besagt dieser Teil [des Spielrechtes], dass eine Partei innerhalb der Bedeutung dieses Teils auch ohne Unehrlichkeit und Betrugsabsicht schummeln kann ... Auf dieser Grundlage ist es bedeutungslos, dass sich der Berufungskläger nicht als Schummler ansieht.“

BORGATA

Und zu guter Letzt der Fall Borgota. Ivey und Sun wandten 2012 viermal Edge Sorting an und gewannen 9,6 Mio. $. Ende 2012 machte Borgota damit Schluss, nachdem sie über die Situation des Crockford erfuhren. Borgota verklagte daraufhin das Paar, um ihre Verluste zurückzufordern. Im Oktober 2016 urteilte U.S. Amtsrichter Noel Hillman im Schnellverfahren:

 

„Aufgrund der Verwendung von Karten, die sie derart manövrieren ließen, dass nur ihnen deren Wert ersichtlich war, haben Ivey und Sun die Gewinnchancen des Baccarat zu ihrem Vorteil verändert. Dies ist ein vollkommener Verstoß gegen die grundlegende Absicht des legalisierten Glücksspiels, wie sie von der CCA [New Jersey Casino Control Act = Casino-Schutzgesetz] festgelegt wurde.“

 

Nach diesem Urteil gab der Richter Hillman dem Borgata Zeit, eine Klage auf Entschädigung einzureichen. Im November 2016 gab Borgata bekannt, 15,5 Mio. $ von Ivey einklagen zu wollen.

 

Für all diese Richter ist Edge Sorting weder legales Vorteilsspiel noch kriminelle Täuschung. Ich hatte immer gedacht, dies seien die einzigen beiden möglichen Ausgänge.


Entweder zahlt man die Spieler aus, oder man steckt sie ins Gefängnis. Mein binäres Denken beweist meine Unkenntnis der Nuancen des gerichtlichen Glücksspielrechts. Anscheinend kann man im Sinne des Zivilrechts betrügen oder sich unangemessenen oder ungesetzlich verhalten oder in vollkommendem Verstoß gegen die grundlegende Absicht des legalisierten Glücksspiels handeln, ohne jedoch ein Betrüger zu sein.

 

Die Verwendung von Asymmetrien, um Casino Spiele zu gewinnen, ist so alt wie die Karten selbst. Ich weiß zweifellos, dass Edge Sorting beim Blackjack seit über 40 Jahren betrieben wird. Ich habe eine Referenz aus dem Jahre 1890, dass damals bereits Asymmetrien der Karten ausgenutzt wurden, um die als Chemin de Fer bekannte banklose Variante des Baccarat zu schlagen. Mir ist es einfach unverständlich, das Casinos auf aller Welt die elementaren Spielschutzanforderungen gegen die Ausnutzung unsymmetrischer Karten nicht berücksichtigen. Deshalb sind Karten ursprünglich mit einer symmetrischen Rückseite versehen. Trotzdem wurde dem Casino in diesen drei Fallbeispielen dessen umfassende Unkenntnis durchgelassen.

 

Ich habe beträchtliche Zeit und Mühe aufgebracht, um Edge Sorting in meinen Studien zu analysieren. Zum Glück für alle Möchtegern-Vorteilsspieler ist Edge Sorting, wie es üblicherweise gegen proprietäre Spiele verwendet wird, von eigener Natur. Die Spieler stellen keine besonderen Anfragen an das Casino. Sie ermitteln bereits vorhandene Spielbedingungen. Sie schlagen das Spiel in seiner angebotenen Form. In jüngeren Beispielen von Edge Sorting gegen Caribbean Stud und Three Card Poker habe ich nicht das leiseste Gerücht davon vernommen, dass die betroffenen Casinos legale Aktionen gegen die Spieler planten.

 

Vielleicht hat die gesamte Bandbreite des Social Engineering, die Ivey und Sun beim Baccarat umsetzten, genügt, um die Messlate der Justiz gegen sie umschlagen zu lassen. Vielleicht werden diejenigen, die ihren Vorteil allein auf das Vorhandene der proprietären Spiele ohne jegliches Social Engineering aufbauen, in einem zukünftigen Zivilurteil als Gewinner hervorgehen. Bis jedoch ein Gerichtshof einen Fall über die bestimmten Parameter entscheidet, mit denen ein proprietäres Spiel besiegt wurde, kann ich nicht mehr länger ohne Zögern sagen, dass Edge Sorting bei jeglichem Casinospiel bloß ein Vorteilsspiel sei.

 

Ab jetzt liegt Edge Sorting in einer legalen Grauzone, die irgendwo zwischen Vorteilsspiel und Betrug liegt. Gewährleistungsausschluss (Caveat Emptor).